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Internetzensur in der Schweiz, ein Überblick
gandro Offline
Quälgeist

Beiträge: 8.955
Registriert seit: Jul 2008
Beitrag #1
Internetzensur in der Schweiz, ein Überblick
Ich wollte seit längerem mal etwas genauer über die Internetzensur in der Schweiz nachforschen, da die Schweiz bei der Debatte in Deutschland desöfteren als Beispiel genannt wurde. Das habe ich jetzt mal für mich getan und wollte ursprünglich im UIT dann einen Kommentar abgeben, aber der Beitrag ist etwas grösser geworden, drum poste ich ihn hier.

Also, falls sich einer dafür interessiert, wie die Lage der Internetzensur in der Schweiz ist:

In Deutschland gibt es im Telemediengesetz jetzt einen richtigen Zensuartikel (Art. 8 Telemediengesetz), der vereinfacht ausgedrückt lautet: "Staat macht Sperrliste, Provider müssen diese Inhalte sperren, die Provider müssen wöchentlich Zugriffszähler melden."

In der Schweiz gibt es kein entsprechendes Gesetz. Es gibt aber im Strafgesetzbuch (StGB) hier und da die Floskel "zugänglich machen". Beispielsweise im Art. 197,III StGB, Pornographie:
Zitat:Wer Gegenstände oder Vorführungen im Sinne von Ziffer 1, die sexuelle Handlungen mit Kindern oder mit Tieren, menschlichen Ausscheidungen oder Gewalttätigkeiten zum Inhalt haben, herstellt, einführt, lagert, in Verkehr bringt, anpreist, ausstellt, anbietet, zeigt, überlässt oder zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
Dabei ist noch wichtig zu erwähnen, dass es keine Rolle spielt, an welcher Stelle man in der Informationskette ist (z.B. ob man nur Briefträger ist), sondern ob man die geeigneten Mittel einer Verhinderung der Verbreitung hat (DNS-Server ist ein solches Mittel).

Legitimiert wird ein solches Gesetz, welches ja eigentlich den Art. 17, II der Bundesverfassung ("Zensur ist verboten.") verbiegt, durch Art. 36 der Bundesverfassung, wodurch Grundrechte eingeschränkt werden können, wenn dies zum Schutze Grundrechte Dritter geschieht.

In der Praxis läuft das also so, dass (glaube ich) die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität offenbar eine Sperrempfehlung an die Provider rausgibt. Das heisst, dass die Provider selber verantwortlich sind: Sie müssen nicht sperren, machen sich aber u.U. strafbar, wenn man über den Provider an Kinderporno rankommt, und dieser es verhindern hätte können.

Einige der Seiten in dieser Sperrliste sind bekannt, mit dem DNS-Server meines Providers (Bluewin) lande ich auf folgender Sperrseite: STOPP! STOP! ///////// KOBIK / SCOCI / CYCO ///////// STOPP! STOP! (die Seite von Cablecom sieht meines Wissens gleich aus). Die meisten (alle?) genannten Seiten da sind offenbar bereits wieder offline, aber trotzdem noch gesperrt (bei mir zumindest).

Leider gibt es kein Präzedenzfall, bei dem ein Provider bestraft wurde. Das ganze ist also eine Rechtsunsicherheit, es sperren daher auch nicht alle Provider (Cablecom und Bluewin sperren, init7 hingegen nicht).

Im überigen dürfen Provider nicht-strafbare Inhalte keinesfalls sperren oder zensieren.

Die von mir vor einigen Tagen gepostete blockierte Seite appel-au-peuple.org wurde im überigen nicht durch die Sperrempfehlung gesperrt, sondern durch eine Sperrverfügung einer waadtländer Untersuchungsrichterin, die ihre Kompetenzen überschritten hat. Der schweizer Provider init7 (die beiten überigens auch IPv6 an Private an) hat dagegen erfolgreich protestiert: Die Sperre ist als unzulässig zurückgewiesen worden, die Seite muss (darf?) somit nicht mehr gesperrt werden. Warum Bluewin, als grösster Schweizer Provider, die Seite immer noch sperrt, ist mir momentan nicht klar.

Quelle dieser Information sind die Kommentare folgendes Symlink-Beitrages: symlink.ch | Schweizer Zensurliste veröffentlicht
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 02.07.2009 13:02 von gandro.)
02.07.2009 12:41
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gandro Offline
Quälgeist

Beiträge: 8.955
Registriert seit: Jul 2008
Beitrag #2
Internetzensur in der Schweiz, ein Überblick
Ein Update zu appel-au-peuple.org , da ich deren Seite mit einem alternativen DNS-Server jetzt auch anständig betrachten kann, die Richterin, die die Sperre verhängt hat, schreibt offenbar nach wie vor den Providern, dass sie zu sperren haben, tun tut dies allerdings offenbar nur noch Bluewin:

http://www.c9c.cc/ioz/02/news/030603.htm

Dünkt mich schon ziemlich krass, da wird unrechtmässig eine Seite gegen Justizwillkür gesperrt, die Verfügung wird rückgängig gemacht, und trotzdem kämpft die Richterin nach wie vor erfolgreich gegen die Seite.
02.07.2009 16:17
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chessboi Offline
Erfahrener Benutzer

Beiträge: 250
Registriert seit: Jul 2008
Beitrag #3
Internetzensur in der Schweiz, ein Überblick
Das mit dem zugänglich machen ist ja ein relativ heikler Punkt. Grundsätzlich könnte man das ja ausdehnen bis zum Verkäufter des Computers, respektive zum Hardwarehersteller in Japan, respektive ... (a never ending story). Gerade für uns Techniker könnte dies dann auch ein heikler Punkt sein.

So wie ich die Schweizerische Rechtsprechung kenne, wird aber nicht jede Kette im Falle eines Falles verantwortlich gemacht. Sprich niemand wird ein Briefträger für die Aushändigung von entsprechendem Bildmaterial belangen. (Ich bin kein Jurist und ich bin mir bewusst, dass wir in einer kuriosen Welt leben. Aber das kann ich mir doch nicht ganz vorstellen.)

Von daher wäre es interessant, ob es evtl Fälle gibt die vor Gericht kamen - und wie diese ausgingen.
03.07.2009 11:24
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gandro Offline
Quälgeist

Beiträge: 8.955
Registriert seit: Jul 2008
Beitrag #4
Internetzensur in der Schweiz, ein Überblick
In Sachen Internetzensur gabs bisher keinen Fall vor Gericht, das ist eben das Problem.

Bei dem appel-au-peuple.org-Fall wollte der Provider Green.ch vor Gericht ziehen, um das eben mal klären zu lassen. Aber weil die Sperrverfügung dann Rückgängig gemacht wurde, wurde auch der Prozess überflüssig, was Green.ch gegenüber der NZZ bedauerte.

Mit dem zugänglich machen ist gemäss dem einen Symlink-Kommentator eine Frage der geeigneten Mittel. "Je bessere Mittel man besitzt, desto eher ist man verpflichtet." - und eine DNS-Sperre ist ja praktisch Nullaufwand. Auf welcher gesetzlichen Grundlage das beruht, weiss ich leider auch nicht.

Das Ganze ist wie gesagt eine grosse Rechtsunsicherheit. Manche Provider zensieren, manche nicht.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 03.07.2009 11:47 von gandro.)
03.07.2009 11:45
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